Test iPhone Xs als Foto-Kamera: Wie gut ist der neue Sensor?

Kaum ist das neue iPhone erhältlich, überschlagen sich euphorische Berichte über die verbesserte Bildqualität und andere Optimierungen. Dieser Bericht soll möglichst objektiv zeigen, was das Gerät im Alltag leistet, auch im Vergleich zu ausgewachsenen Vollformat-Kameras. Nach sieben Jahren mit dem iPhone 4S wurde es für mich Zeit für einen Wechsel auf ein neues Gerät. In der engeren Auswahl stand auch das Huawei P20 Pro, wegen dem Komfort der iCloud mit der Geräte-übergreifenden Synchronisation bin ich schlussendlich bei Apple geblieben. Den Kamera-Teil des bisherigen iPhones verwendete ich hauptsächlich für Schnappschüsse wenn keine andere Kamera zur Verfügung stand und zur Erfassung von GPS-Daten mittels einer zusätzlichen Aufnahme zur grossen Kamera.

 

iPhone Xs, 6mm, ISO 200, 1/60 Sek.

 

Sony A7R II, 29mm, ISO 100, Blende 11, 1/160 Sek.

 

iPhone Xs, 4.25mm, ISO 25, 1/2300 Sek.

 

Bildqualität
Die Bildqualität von digitalen Fotos hängt hauptsächlich von zwei Faktoren ab: vom Sensor insbesondere von der Sensorgrösse sowie von der verwendeten Optik. Für das iPhone Xs wurde ein grösserer Sensor verbaut als im Vorgängermodell X. Leider gibt Apple zur genauen Grösse keine Spezifikationen bekannt. Gemäss TearDown, deren Mitarbeiter ein neues iPhone komplett zerlegt haben, handelt es sich um einen Sony-Sensor mit den Massen 7.01 x 5.79mm, d.h. 40.6mm2, Details siehe unter http://www.techinsights.com/about-techinsights/overview/blog/apple-iphone-xs-teardown/. Damit ist die Fläche dieses Sensors mehr als 20 mal kleiner als die einer Vollformat-Kamera. Für Erinnerungsfotos genügten Smartphones bereits in den letzten Jahren. Das heisst, die Resultate waren und sind „gut genug“ für die meisten Anwender. Als Beispiel: Die Bildqualität der aktuellen iPhone Xs-Kamera ist besser als die einer Ricoh Caplio GX100 Kompaktkamera vor 10 Jahren und in etwa auf dem Niveau einer Olympus Pen E-P2.

Sensorfläche ist mehr als 20mal kleiner als Vollformat

 

 

Smartphone-Kameras werden, wie fast alle technischen Artikel, immer besser und machen Kompakt-Kameras langsam aber sicher überflüssig. Das sieht man auch gut daran, wieviele Touristen nur noch ihr Handy resp. ihren iPad zum Fotografieren verwenden. Für normale Anwendungen bei guten Licht kann die iPhone Xs-Kamera auf tiefe 25 ISO resp. bei Porträts sogar auf 16 ISO herunter gehen und diese Bilder sind auf A4 gedruckt oder im Internet publiziert auf den ersten Blick nicht von Vollformat-Aufnahmen unterscheidbar. Bei höheren ISO-Werten, vor allem ab ISO 800, kann der Unterschied allerdings frappant zu ungunsten des kleineren Formats ausfallen und diese Aufnahmen werden dann auch von Ungeübten / Unkritischen sofort schlechter bewertet. Das gleiche gilt, wenn Aufnahmen vergrössert werden, siehe das nachfolgende Beispiel. Hier wurde die iPhone-Aufnahme zum Vergleich auf die gleiche Grösse wie die der Sony A7RII hochgerechnet, d.h auf A2 – der Unterschied ist gut sichtbar. Dank der eingebauten Stabilisierung sind meine freihändigen Nachtaufnahmen erstaunlich gut ausgefallen.

 

Ausschnitt aus A2: links iPhone, rechts Sony A7RII

 

Objektive
Die Kamera hat auf der Rückseite zwei Objektive und auf der Vorderseite ein Objektiv mit jeweils fixer Blende eingebaut.
Rückseite-Kameras: f1.8 / 4.25mm und f2.4 / 6mm = 26 und 52mm Brennweite bei Vollformat
Vorderseite-Kamera: f2.2 / 2.87mm = 32mm Brennweite bei Vollformat

Die Brennweite von 26mm kommt meiner Lieblingsbrennweite von 24mm sehr nahe und das 52mm Objektiv kann natürlich für alle Arten von Bildern eingesetzt werden (nicht nur Porträts), also Landschaften, Makros usw. Das Umschalten zwischen dem 26mm und dem 52mm Objektiv erfolgt durch Druck auf den Knopf 1x resp. 2x am unteren Displayrand.

Die Blenden können wie bei allen Smartphones leider nicht verstellt werden und man arbeitet daher permanent mit offener Blende. In Anbetracht des kleinen Sensors und der Weitwinkel-Objektive ist die Schärfentiefe jedoch bereits sehr gross und der Hintergrund muss für Porträts per Software umgerechnet werden, damit ein verschwommener Hintergrund mit einem schönen, „professionellen“ Bokeh erzielt werden kann. Die kleinen 6-linsigen Objektive sind gut und scharf bis an die Ränder.

Objektive auf Rückseite mit Abdeckung aus Saphirkristall

 

 

Kamera
Die Kamera bietet eine interne Stabilisierung und ermöglicht zusammen mit dem etwas grösseren Sensor brauchbare Aufnahmen bei ungünstigen Lichtverhältnissen, in der Dämmerung oder in der Nacht. Richtige Langzeitbelichtungen sind damit leider nicht möglich. Soweit ich Angaben betr. Verschlusszeiten gefunden habe, gehen diese bis max. 1 Sekunde. Als Nachteil bewerte ich die Selfie-Kamera auf der Vorderseite mit dem Weitwinkel-Objektiv mit umgerechnet 32mm, auch in der Porträt-Einstellung. Für Gruppenbilder mag das OK sein, bei Einzel-Porträts werden die Gesichter verzerrt. Unschön und nicht realistisch!

 

 

Handhabung
Ein unschätzbarer Vorteil gegenüber normalen Kameras ob gross oder klein ist, dass man das Smartphone immer bei sich hat. Das ist auch der Grund, wieso damit zahlenmässig und weltweit die meisten Fotos gemacht werden. Ein grosses Plus für mich gegenüber dem alten iPhone 4S ist die zweite Optik von 52mm, die ohne Objektivwechsel auf „Knopfdruck“ zur Verfügung steht. Aufnahmen gelingen mit dem iPhone Xs immer kinderleicht und praktisch vollautomatisch: Ausschnitt, Normal oder Porträt-Modus (und damit das Objektiv) wählen und abdrücken, den Rest besorgt die Kamera. Bei Porträts können vor der Aufnahme auf Wunsch verschiedene Beleuchtungen simuliert werden, z.B. natürliches Licht, Studiolicht, Konturenlicht oder Bühnenlicht. Nach der Aufnahme können Licht und Farbe (Sättigung und Kontrast) noch angepasst, das Bild zugeschnitten oder in Schwarz/Weiss umgewandelt werden. Bei Porträts kann nach der Aufnahme zusätzlich noch die Schärfentiefe gesteuert werden, beeindruckend aber leider noch nicht perfekt.
Mittels zusätzlicher Apps vom Apple-Store könnten auch ISO-Werte, Verschlusszeiten sowie der Weissabgleich manuell gesteuert werden. Der wichtigste Parameter, nämlich die Blende kann jedoch konstruktionsbedingt nicht beeinflusst werden. Deshalb machen diese Anwendungen für mich keinen Sinn.
Die Integration in iCloud-Foto ist wie immer sehr gut gelöst. Man hat nach der Aufnahme auch genügend Zeit, diese zu beurteilen und ggf. zu löschen bevor das Foto in die Cloud hochgeladen wird und je nach Abonnement vom monatlichen Datenvolumen zehrt.

Porträt-Modus
Die 2.87mm resp. 32mm-Brennweite für Selfies überzeugt mich wie erwähnt nicht, aber ich bin auch kein Fan dieser Art von Aufnahmen. Auch mit dem 6mm (= 52mm) Objektiv im Porträt-Modus sind Gesichter etwas verzerrt und länglicher als in der Realität. Das ist im direkten Vergleich mit einer Systemkamera und etwas längerer Brennweite deutlich sichtbar. Mit einer richtigen Porträt-Brennweite von 85-135mm würde das Ergebnis noch eindeutiger ausfallen. Beim Einrechnen einer schmalen Schärfentiefe, z.B. Blende 2 statt 16 durch die integrierte Software, werden feine Bereiche teilweise grob vereinfacht dargestellt, siehe die Details der Haare im nachfolgenden Bild.

links iPhone Xs, 6mm Porträt, ISO 16, 1/240 Sek., rechts Sony A7R II, 70 mm, ISO 100, Blende 5.6, 1/250 Sek.

 

links iPhone Xs mit unsauberem Übergang zum Hintergrund, rechts Sony A7R II

 

 

und hier weitere Nachtaufnahmen:

iPhone Xs, 4.25mm, ISO 800, 1/20 Sek.

 

iPhone Xs, 4.25mm, ISO 400, 1/35 Sek.

 

iPhone Xs, 4.25mm, ISO 160, 1/50 Sek. 

 

iPhone Xs, 4.25mm, ISO 400, 1/25 Sek.

 

iPhone Xs, 4.25mm, ISO 800, 1/25 Sek.

 

 

Was fehlt noch und was ich mir wünsche
– veränderbare Blenden wie bei normalen Kameras
– grössere Sensoren (sobald Batterien leistungsfähiger werden einfach zu realisieren) für bessere Bildqualität
– längere und kürzere Brennweiten, z.B. 90mm und 18mm
– optische Zoom-Möglichkeit
– manueller Modus wie bei normalen Kameras, auch für Langzeitbelichtungen
– Wahl zur Speicherung im Raw-Format

 

Fazit
Das Kamera-Modul des neuen iPhones Xs dürfte für die meisten Anwender ohne professionelle Ansprüche an ihre Fotos ausreichend sein. Über gewisse Mängel wie verzerrte Gesichter bei Porträts werden viele Anwender hinweg sehen oder es mangels Vergleichsmöglichkeit nicht einmal bemerken. Auch Filme lassen sich übrigens in 4K-Auflösung und damit in Top-Qualität erstellen. Apple hat wie häufig in der Vergangenheit wieder einen guten Kompromiss zwischen Leistungsfähigkeit der Hardware und einfacher Bedienbarkeit der Kamera-Elemente gefunden. Der Erfolg wird garantiert nicht auf sich warten lassen.

Betreffend Sicherheit beim Anmelden: Die Gesichtserkennung ist zu meiner Überraschung hervorragend gelöst und funktioniert praktisch immer. Das hätte ich in dieser Perfektion nicht erwartet und möchte sie nicht mehr missen.

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