Grimsel: Natur, Energie + Verkehr

Natur

Wenn man mit dem Auto Richtung Grimsel fährt, fallen die vielen freihängenden Starkstromleitungen auf. Damit wird die durch Wasserkraft produzierte elektrische Energie ins Flachland zum Verbraucher transportiert. Nach Guttannen bekommt man einen Eindruck, was Erosion in den Bergen bedeuten kann. In diesem Gebiet sind häufige Lawinen und Erdrutsche die Regel, die Grimselstrasse wurde dadurch schon mehrfach verschüttet und musste für den Verkehr gesperrt werden. Weiter oben am Pass dann die Stauseen, zuerst der Räterichsbodensee und kurz darauf der Grimselsee. Nicht alle Stauseen sind von der Strasse aus direkt sichtbar. Es gibt noch zwei weitere: den Gelmersee und den Oberaarsee. Auffällig sind die grünlichen, von Gletschern abgeschliffenen Felsen und die grossartige, alpine Landschaft. Es ist ein weitläufiges und erhabenes Gebiet. Trotz der unübersehbaren und allgegenwärtigen Stromgewinnungsbauten ist viel mehr Natur als Technik vorhanden. Sobald man zu Fuss tiefer ins dieses Gebiet eindringt, findet man unberührte Hochgebirgslandschaften, Schafe, Murmeltiere, Gämsen, Steinböcke, Adler, viele Reptilien und Schmetterlinge. Und meistens – wenn die Luftwaffe nicht gerade Übungen durchführt – auch Ruhe.

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vom Gletscher abgeschliffene, von grünen Flechten bewachsene Felsen

 

Schwarznasenschafe2

Schwarznasenschafe sieht man leider immer seltener

 

Grimselpass

Der Totensee auf dem Grimselpass wird indirekt für die Elektrizitätsgewinnung genutzt, d.h. das Wasser fliesst in den Grimselsee.

 

Die beste Art, ein Gebiet kennenzulernen, ist es zu Fuss zu erkunden. Der Vorteil dabei: Man sieht alle Details wie Blumen, Tiere und Gesteinsarten und hat ausserdem viel Platz, da praktisch niemand unterwegs ist. Der Grimsel ist also auch ein tolles Gebiet für kleine und grosse Wanderungen. Der Motorenlärm des Strassenverkehrt reduziert sich nach ein paar Hundertmeter auf ein erträgliches Mass und verschwindet je nach Ausflug auch komplett. Die bekannteste Tour vom Grimselpass aus führt auf das Sidelhorn. Es gehen aber auch mehrere Etappen der «Rund um die Berner Alpen» – Wanderung (Schweizer Alpen-Club SAC, Ueli Mosimann) durch das Grimselgebiet, z.B. Etappe 13 vom Grimselpass via Sidelhorn nach Obergesteln im Wallis. Wir haben eine weniger bekannte Route gewählt, die das Sidelhorn nur umrundet. Allerdings ist diese Variante nicht zu unterschätzen: Im Bereich der Triebtenseelicke gibt es viel Geröll und zum Teil auch weglose Stücke, die recht anstrengend sind. Man sollte ca. 6 Stunden dafür einkalkulieren. Am 19.8.2016 haben wir bei der Triebtenseelicke auch noch ein Schneefeld angetroffen, das allerdings umgangen werden konnte.

 

Rund ums Sidelhorn

Tour um das Sidelhorn

 

Nach der Triebtenseelicke öffnet sich der Ausblick auf die bekannten 4Tausender Lauteraarhorn und Schreckhorn sowie auf die Landschaft darum herum:

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Ausblick von der Triebtenseelücke auf den gleichnamigen See und das sogenannte Mini-«Karakorum» der Schweiz. Hinten im linken Teil: Schreckhorn

 

Andere Wanderungen

Im Sommer und Herbst werden jedes Jahr Säumer-Veranstaltungen über den Grimselpass durchgeführt. Die bis zu 8tägigen Wanderungen folgen der alten Sbrinz-Route von Luzern via Meiringen und Grimselpass bis nach Domodossola. Dabei kann man erleben, was Reisen früher bedeutet hat und welche Strapazen die Leute auf sich nehmen mussten. Heute wird auf Wunsch das Gepäck auch transportiert und man kann unbelastet das Wandern geniessen.

Pferdekarawane auf Grimsel

Säumertreck kurz vor der Passhöhe: auf diesem Bild ist die Dimensionen Mensch / Natur gut ersichtlich

 

Auch zur Bächlitalhütte lohnt sich ein Ausflug. Diese befindet sich in einem stillen Seitental unterhalb des Räterichsbodensees. Macht man die Tour von Chüenzentennlen aus, muss mit 6 Stunden Marschzeit gerechnet werden. Die Bächlitalhütte bietet auch kulinarisch etwas: mir ist die leckere Gemüsesuppe in guter Erinnerung.

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Die sandige Schwemmlandschaft des Bächlitals. Auf dem diagonal von rechts abfallenden Rücken, rechts von der Bildmitte, ist die Bächlitalhütte zu sehen.

 

Das Grimselgebiet ist also nicht nur für Motorrad- und andere «Rennfahrer» empfehlenswert sondern vor allem für Naturliebhaber. Dank der gut ausgebauten Strasse ist man von der Berner- wie auch der Walliserseite relativ schnell am Ausgangspunkt für Wanderungen. Selbstverständlich kann man die Natur und die Aussicht auf eine spektakuläre, alpine Landschaft auch ohne körperliche Bewegung geniessen. Zum Beispiel geht von der Passhöhe eine Strasse mit zeitlicher Ampelregelung bis zum Berghaus Oberaar, das Übernachtungsmöglichkeiten bietet. Die Grimsel-Region ist ein Teil des BLN-Gebiets 1507 «Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebiet (nördlicher Teil)». BLN bedeutet übrigens: Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung. Diese BLN 1507 grenzt direkt an BLN 1710 «Rhônegletscher mit Vorgelände» (Furka) sowie an BLN 1706 «Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebiet (südlicher Teil)». Zusammen bilden diese drei BLN-Objekte das grösste, zusammenhängende Schutzgebiet der Schweiz. Die BLN 1507 und 1706 haben zusätzlich noch das Label UNESCO Welterbe Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn, auf einer zusätzlichen Karte blau eingezeichnet, siehe weiter unten.

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BLN-Objekte 1507, 1710 und 1706 (rot) sowie weitere BLN-Gebiete, z.B. Binntal und Val Bavona

 

 

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UNESCO Welterbe Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn (blau)

 

Wenn man schon nur die Beschreibungen der BLN-Objekte liest versteht man, wieso diese Gegend so attraktiv ist. Hier der Originaltext der BLN-Beschreibung 1507 / 1706:

Grossartige Hochalpenlandschaft, seit dem Beginn der Alpenforschung als solche gepriesen (Jungfrau, Mönch, Eiger, usw.), von der Zivilisation wenig berührte Täler: Bietsch-, Baltschieder-, Gredetsch- und Sefinental. Kristallines Aarmassiv gegen Norden in den autochthonen Sedimentmantel übergehend. Zahlreiche bedeutende Mineralfundstellen. Glaziologisch interessante Erscheinungen (Rundhöcker, versumpfte Mulden, Schliffgrenzen, Rückzugsstadien), besonders grossartig an der Grimsel. Abwechslungsreiche alpine und subalpine Vegetation auf Kalk und Silikatgestein im feuchten Klima der Nordabdachung und im trockeneren Klima der Südseite. Im Aletschwald berühmte Arven- und Lärchenbestände. Vereinzelte Vorkommen dieses zentralalpinen Waldtyps auf der Nordseite der Alpen. Neubesiedlung vom Gletscher freigegebener Boden. Bedeutende Alpentierbestände. Grünland- und Alpwirtschaft. Kühn angelegte Bewässerungssysteme (sogenannte Suonen), besonders im südlichen Teil des Bietschhorngebietes. Bedeutendes Wander- und Hochtourengebiet. Naturschutzzentrum auf der Riederfurka (Villa Cassel).

 

Was man aus Sicht Natur verbessern könnte:

  • Schutzgebiete ausdehnen bis Gotthard und vernetzen mit Binntal und Val Bavona
  • kein weiterer Ausbau der Wasserkraft
  • Grimselpass an einem Tag pro Monat für den motorisierten Verkehr sperren, d.h. offen nur für Wanderer und Velofahrer

 

Übrigens: Das Militär war während des 2. Weltkrieges sehr aktiv im Grimselgebiet. Interessierte googeln den Begriff «Artilleriewerk Grimsel» für detaillierte Infos und Anekdoten zu diesem Thema.

 

 

Energie

Das Grimselgebiet ist ein wichtiger Teil der nationalen Stromerzeugung mittels Wasserkraft. Die Wasserkraft zählt zu den erneuerbaren Energien und liefert ca. 55% der gesamten Produktion in der Schweiz. Davon beträgt der Anteil der Grimsel ca. 7%. Von der restlichen Produktion entfallen ca. 40% auf die Atomkraft (Tendenz sinkend) und ca. 5% auf Wind- und Solarenergie (Tendenz steigend) sowie auf andere Einrichtungen, z.B. Kehrichtverbrennungsanlagen. Die Stauseen selbst stellen aber schon einen grossen Eingriff in den natürlichen Lebensraum der Alpen dar und man fragt sich, wie lange diese Staumauern überhaupt genutzt werden können und was anschliessend damit passieren soll. Abklärungen haben gezeigt, dass Konzessionen für den Betrieb der Anlagen jeweils für 80 Jahre vergeben werden und anschliessend verlängert werden können. So wurde z.B. die älteste Grimselstaumauer 1925-1932 erbaut und soll jetzt modernisiert und erhöht werden. Was mich interessiert ist aber die Frage: Was passiert in 500 oder 1’000 Jahren mit diesen Bauwerken? Spätestens dann werden sie aus Sicherheitsgründen nicht mehr benutzbar sein und auch wegen dem zu erwartenden Fortschritt der Solarenergie wohl auch nicht mehr benötigt. In den USA werden bereits heute bestimmte Staudämme zurückgebaut und die Flüsse renaturiert. Unter der Voraussetzung, dass dieser Rückbau in der Schweiz zu einem späteren Zeitpunkt auch passieren wird, ist für mich die Wasserkraft inkl. temporäre (auch 500 Jahre sind temporär) Verschandelung abgelegener Gebiete im Vergleich zur Atomkraft das kleinere Übel. Bei der Atomkraft fallen ja bekannterweise Abfälle an, die 200’000 Jahre (!!) radioaktiv strahlen und entsprechend gelagert werden müssen, wobei nach guten Standorten bereits seit Jahrzehnten gesucht wird. Was ein Rückbau der Wasserkraft-Anlagen dereinst kosten und wer das bezahlen wird, darüber lässt sich nur spekulieren. Ich gehe nicht davon aus, dass die heutigen Strom-Gesellschaften noch in der gleichen rechtlichen Form existieren und dafür gerade stehen werden.

Positiv zu erwähnen sind die Kraftwerke Oberhasli AG KWO, welche Eigentümer der Grimselanlagen sind. Sie bemühen sich um Naturverträglichkeit und haben auch schon kleinere Teile nicht mehr benutzter Installationen rückbauen lassen. Sie beschäftigen Mitarbeiter, die sich speziell um die ökologischen Aspekte der Kraftwerke kümmern. Sämtliche Stollen und grosse Teile der Anlagen sind unterirdisch verbaut und deshalb nicht sichtbar. Am Publikumstag vom 3. September zur Eröffnung des Ausbaus Handeck konnten die Anlagen besichtigt werden. Nachstehend einige Eindrücke vom Besuch:

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4 Turbinen in unterirdischer Halle

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Legende zum Kraftwerk Handeck 2

 

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Rotor (Peltonrad)

Grimsel
Stollen, befahrbar

 

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Kugelschieber,  Fotos vom Kraftwerk: Publikumstag Kraftwerke Oberhasli AG, September 2016

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gefüllter Grimselsee mit Staumauer

 

Was man noch verbessern könnte, damit die Technik weniger stört:

  • alle freihängenden Starkstromleitungen in den Boden verlegen
  • Staumauern mit Tarnanstrich analog der umliegenden Felsen versehen, damit sie sich besser in die Natur integrieren

 

 

 

Verkehr

Ich will es nicht verheimlichen: Den Grimsel kennen- und lieben gelernt habe ich als Motorradfahrer. Dies war noch zur Zeit, als die aktuelle Passstrasse fertiggestellt wurde. Das Eindrücklichste an meinen Ausflügen war aber nicht das «Kurvenliegen» sondern stets die grossartige Landschaft. Diese Eindrücke sind mir geblieben, auch wenn das Rennfieber zum Glück schon lange vorbei ist. Heute sind mehr als genug andere motorisierte Mitmenschen unterwegs. Die Stille am frühen Morgen ist seltener geworden, vor allem in den Sommermonaten. Der Verkehrsweg über den Grimsel wird vom Bund (BLN) als historisch bedeutend eingestuft und ist eines der Schutzziele dieses BLN-Objekts.

Aber wie wichtig ist eigentlich der Grimselpass für den gesamten Nord- / Südverkehr in der Schweiz? Nicht sehr wichtig: Dreiviertel des Strassengüterverkehrs in der Schweiz gehen über die Gotthard-Route. Auch wegen der Wintersperre des Grimselpasses von Oktober/November – Mai/Juni ist er mehr für den lokalen Warenverkehr im Sommer von Bedeutung. Bleibt also der Tourismus-Verkehr und das können schon mehrere Tausend Personenwagen pro Tag sein. Dazu kommen unzählige Motorräder und viele Reisecars und Lastwagen. Wer im Auto über den Grimsel fährt, sucht nicht die schnellste und direkteste Verbindung über die Alpen. Nein, man will sich Zeit nehmen, viele Kurven fahren, die Umgebung geniessen, vielleicht in den Bergen übernachten, etwas erleben und bleibende Eindrücke mit nach Hause nehmen. Nach der Überquerung des Grimselpasses ist man ja auch noch nicht in Italien sondern erst im Wallis. Von dort geht es dann über den Nufenenpass ins Tessin oder über den Simplonpass direkt nach Italien.

Aus Sicht der Natur darf man sich fragen, ob es wirklich eine so gut ausgebaute Strasse über den Grimselpass und in diese Berggegend braucht. Man weiss ja: Je besser der Ausbau, desto mehr Verkehr.  Vielleicht hätte es genügt, die alte Strasse nur neu zu asphaltieren, statt in eine verlockende Rennstrecke umzubauen. Gut – nachher ist man immer schlauer und wir sollten uns jetzt überlegen, wie es weiter gehen soll. Mir persönlich ist es wichtig, dass das Gebiet im Sommer unabhängig von Betriebszeiten von Seilbahnen oder öffentlichen Transportmitteln erreichbar ist. Die bestehende Strasse soll also bleiben aber nicht noch weiter ausgebaut werden. Mit dem Aufkommen von Elektrofahrzeugen werden sich auch der Lärm und die Abgasemissionen verringern. Man darf davon ausgehen, dass bis in 20 Jahren ca. 80% des Verkehrs elektrisch unterwegs sein, und dass dadurch wieder Ruhe am Berg einkehren wird. Ich freue mich bereits jetzt auf diese Zeit.

 

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es hat nicht immer so wenig Verkehr

Was könnte verkehrstechnisch verbessert werden:

  • Verkehrs- und Lärmberuhigung durch Einbau von Bremsschwellen und automatischen Radarfallen (sorry Rennfahrer?)
  • keine Anhänger-Fahrzeuge, diese sind häufig der Grund für Kolonnenbildung
  • Verkehrs-Entlastung durch Maut-Pflicht (verständlich für den anzustrebenden, grössten Schutzpark der Schweiz)

 

Ich bin überzeugt davon, dass das Grimsel-Gebiet mit den beschriebenen Anregungen mittelfristig massiv aufgewertet werden kann und dadurch für einen nachhaltigen Tourismus attraktiver wird.  Zentrale Überlegung dabei ist, dass die Erweiterung zum grössten Schutzpark der Schweiz umgesetzt wird. Es darf nicht sein, dass eines der schönsten Gebiete unseres Landes nur eine alternative Transitstrecke im Ferienverkehr oder eine Rennstrecke für Wochenend-Ausflügler ist. Vielmehr soll es vermehrt mit einer intakten Flora und Fauna allen Naturliebhabern, Wanderer und Velofahrer zur Verfügung stehen.

 

 

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